Der reine Berg
Dienstag, 3. Dezember 2013

Begegnung

Es handelte sich tatsächlich um ein mädchenhaftes Gesicht.

Und tatsächlich, es lächelte, und ihm nicht nur etwa zu, sie ging auch einen Schritt in seine Richtung. Da stellte der rationaler Abstraktionen nicht gerade ungeübte Rabulski gerade noch rechtzeitig fest, diese Richtung sei auch keine andere als die zum Ausgang in die Fußgängerzone. Da tat er etwas, das er sich sein langes Leben lang noch nicht getraut hatte.

In diesem hatte er alles auf sich zukommen lassen. Es verhielt sich wie bei Katzen und Kindern. Obwohl er mit beiden Gattungen nicht sonderlich viel anzufangen wußte, kamen die ihm dennoch immer wieder entgegen. Jemanden anzusprechen, am Ende gar eine Frau, das wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Dazu war er zu zurückhaltend. Er war sich spätestens seit seiner späteren Jugend über die eigentliche Ursache im klaren; es war Schüchternheit. Mit den Jahren war es ihm gelungen, diese zu überspielen. Seine Tätigkeit als auch vor Gerichten agierender Rechtsanwalt machte diese Fähigkeit nicht nur erforderlich, sondern förderte über eine in der Sache logisch erscheinende wachsende Rhetorik hinaus auch sein Zugehen auf andere Menschen. Privat war diese Problematik allerdings aufgehoben, ging man doch wie vorbestimmt allzeit auf ihn zu.

Nun aber sah er sich gezwungen, einmal selbst tätig zu werden. Ihm schien es zudem als eine letzte Möglichkeit, auf eigene Inititiative hin eine Bekanntschaft zu machen, nicht zuletzt, da diese ihm im besonderen Maße reizvoll erschien. Und sei es, er holte sich ein Abfuhr. Er würde es ertragen, ertragen müssen. Allerdings hatte sein Streben nach Zukunft ohnehin seinen letzten Punkt erreicht. Die Lebensbahn bog gerade in die letzte Kurve ein, hinter der sich die Endstation ankündigte. Doch dieses Gesicht schien ihm eine andere Richtung zu signalisieren, ihn nachgerade aufzufordern, zumindest noch einmal Halt einzulegen. So stand er denn auf und ging, wenn auch zögerlich, ihr einen Schritt entgegen. Und ihr Lächeln hielt nicht nur an, es verstärkte sich noch. Ihre Richtung veränderte sich keinen Jota. Es war die zu ihm hin. Recht nahe kam sie ihm, blickte ihm in die Augen, jedoch auf eine andere Art, wie er sie aus seinem Land kannte, in dem es zur Höflichkeit gehörte, während eines noch so kurzen Gesprächs einander in die Augen zu schauen. Es war etwas, das er während seiner Aufenthalte in Deutschland so vermißte, ob momentan hier am Niederrhein unweit des niederländischen Westfrieslands oder in anderen Regionen, in denen er ebenfalls hin und wieder zu tun hatte, meist dann, wenn er als Spezialist für Asylrecht gefragt war oder auch schonmal in seinem auch privat bevorzugten Bereich der Rechtsphilosphie als Referent an Symposien teilnahm. Es war ein weiches, warmes Lächeln der Zuneigung, erzeugt von sanften Augen und überdies von einem ihn geradezu verzückenden außerordentlich großen Mund mit vollen Lippen, einer, den er sein Lebtag immer einmal geküßt haben wollte, der ihm jedoch nie entgegengekommen war in seinem mittlerweile durchaus bereits länger währenden Leben.

Sie stand vor ihm, nickte, ihr Lächeln beibehaltend, ihm zu und meinte, ihm eine ihn wohl bedrängende Frage beantworten zu müssen. Ja, sprach sie, sie sei noch frei. Worauf sie sich an seine linke Seite begab, ihn unterhakte und sanft die Richtung vorgab. Man müsse sich nicht auf einen Café oder ein Glas Rotwein bei Kerzenschein begeben, sie halte solcherlei ohnehin für mißverstandene oder triviale, banale, auf Zeichen für Analphabeten reduzierte Romantik. Sie verfüge nicht allzuweit entfernt über eine Wohnung. In der stünde alles bereit für ihrer beider Begegnung. Zwar begegneten sie einander heute zum ersten Mal persönlich, doch er sei ihr bereits seit einiger Zeit bekannt. Sie habe sich längst ein Bild von ihm gemacht.

Einen kleinen Augenblick müsse er sich allerdings noch gedulden. Ein paar Schritte weiter befände sich ein kleine Pâtisserie, sie sagte tatsächlich Pâtisserie und nicht Konditorei, dort müsse sie noch ihre Ration feine Törtchen abholen. Es sei mit Sicherheit etwas dabei, das auch seinem Geschmack entspräche.

 
Di, 03.12.2013 |  link | (430) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Liebesgeschichte

... link (0 Kommentare)   ... comment


Online seit 4012 Tagen
Letzte Aktualisierung: 2014.02.12, 19:21
status
Menu
Suche
 
Kalender
Dezember 2013
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 5 
 8 
 9 
10
12
13
14
15
16
17
18
20
21
22
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 
 
 
Letzte Aktualisierungen
Erleuchtende Erscheinung
Er mußte sich setzen. Die fremde Stadt setzte...
by drrabulski (2014.01.10, 17:39)
Frauen
Lange genug habe ihr gemeinsames Warten auf dieses...
by drrabulski (2014.01.08, 20:13)
Alteuropäische Meerjungfrau
Und dieses feine Mädchen von damals saß...
by drrabulski (2013.12.30, 17:55)
Die Feine
Er sei noch immer der melancholisch-fröhliche...
by drrabulski (2013.12.22, 22:12)
Wirkliche Wahrheit
Es sei sehr viel weniger geheimnisvoll, als er vermutete....
by drrabulski (2013.12.16, 13:42)

xml version of this page

made with antville