Der reine Berg |
... comment Mittwoch, 11. Dezember 2013
Wirkliche Wahrheit Es sei sehr viel weniger geheimnisvoll, als er vermutete. Es sei nichts als schnöde Wirklichkeit, die der Wahrheit auch nicht nur annähernd gleichkomme. In die Augen wollte er ihr schauen, in sie eindringen, an die Wahrheit gemahnend, an die der Fakten, die sie ihm gleichermaßen ankündigte. Doch Rabulskis Blick wurde abgelenkt. Es war ein seit Jahrzehnten nicht aufzuhaltender Prozeß, über den er sich immer wieder ärgerte, wahrscheinlich weniger, weil er ihm unangenehm, sondern eher, da es ihm peinlich war, dabei eventuell ertappt worden zu sein. In den Ausschnitt ging sein Blick. Er war sich nie sicher, ob er dabei an seiner Madame Mére Brüste dachte, die er als Kleinstkind nie genießen durfte, da die Mutter nie ihrer Schönheit verlustig gehen wollte, oder er einer vermutlich typisch männlichen Blickrichtung unterlag. Dieser mannhaften Art von Wahrnehmung wollte er sich keinesfalls unterordnen. Und doch war er dagegen wehrlos. Also zwang er sich einmal mehr, seinen Blick aufzuheben. Dennoch erreichte er die Augen seiner rätselhaften Begegnung nicht sofort. Er blieb an einer seitlichen Erscheinung hängen. Pattes d'oie, die Deutschen nennen sie Krähenfüße. Welch eine unsägliche Metapher für zaubervolle Gebilde, die vom Lächeln, von Lachen kreiiert worden sind, und derentwegen sich viele Frauen Gift einspritzen lassen. Um ihre Freude am Leben zu kaschieren. Die neben ihm sitzende Frau war, das war ihm längst deutlich geworden, weit entfernt davon, auch nur daran zu denken, sich ihren Körper zu deformieren, um den Schein einer edlen Einfalt vorzutäuschen, die jeweiligen Schönheitsidealen unterlag. Sie würde, da war er sich sicher, ihre Identität bewahren. Seiner Identität, hob sie mit ihrer Wirklichtkeitsdarstellung an, sei sie gewahr geworden über eine Seite im Internet, die Veranstaltungen zur Juristerei ankündige. Darin sei vor einiger Zeit ein Vortrag mit ihm als Redner angekündigt worden, der hier in der niederrheinischen Stadt stattfinden würde und der unter anderem eine Photographie von ihm beigefügt war. Die rigide Thematik des Symposions Psychische Störungen aufgrund familiarer Problemata in Einwanderungsgesellschaften habe sie nicht nur als Juristin interessiert, sondern auch, weil sie schlicht nicht glauben wollte, bei dem Vortragenden könne es sich ebenfalls um einen Advokaten handeln. Sie habe, um im Fachjargon der Wirklichkeit zu bleiben, dem sie sich nun unter Kollegen temporär zuwende, da sie sich der Wahrheit und damit sich beiden immer näher komme, gemutmaßt, er sei einer dieser leicht irrweggeleiteten Psychologen, wenn nicht gar ein Psychiater, die sich mit den Rechten und der sich um sie rankenden Philosophie beschäftigen. Das habe sie veranlaßt, sich bei dieser Veranstaltung anzumelden und auch daran teilzunehmen. Sie sei diejenige in der ersten Reihe gewesen, die er geweckt habe mit seiner Äußerung, nicht jede noch so kluge Rede sei in der Lage, Menschen wachzuhalten. Aber immerhin könnte eine solche derart wahrgenommen werden, habe er hinzugefügt, nachdem sie erschreckt aufgewacht sei, eventuell zuweilen bewirken, erweckt zu werden. Und das sei nicht im Sinne irgendeines Glaubens gemeint, der schließlich nichts anderes bedeute als nicht zu wissen. Bedankt habe er sich dann noch für ihre Aufmerksamkeit. Und tatsächlich sei sie seither nie wieder eingeschlafen bei seinen Vorträgen, und seien sie noch so langweilig gewesen, auch nicht während seiner ausschweifenden Diskussionsbeiträge, die ihm den zweifellos zweifelhaften Ruf eines Überanmerkers eingebracht habe, selbst nicht bei seinen essayistischen Bemühungen, die sie ausschließlich gelesen habe. Sie sei sich darüber klar geworden, es handele sich bei ihm zwar um eine gewisse Theorielastigkeit, jedoch um eine reparable. Unter anderem aus diesen Gründen säße er nun hier. Bei ihr. An ihrer Seite. Ihn zu reparieren, diese Absicht hege sie keineswegs. Er sei ohnehin irreparabel. Nun habe das, was viele Menschen Schicksal nannten, ihn bei ihr angelandet. Und überhaupt und dieses Mal nicht etwa nebenbei: Lebensweg. Der habe sie beide schon sehr früh zueinandergeführt. Kürzlich habe während eines Gesprächs mit ihrer Mutter, die nur noch über ein Langzeitgedächtnis verfüge, auch das ihre eingesetzt. Mit einem Mal habe sie sich des Bildes eines jungen Mannes erinnert, der seinerzeit mit beglücktem Gesicht in den Kinderwagen hineinblickte, in dem sie lag, und mit einem frisch von Hand gefangenen Aal winkte. Ihre Mutter sei mit ihr am Heidelberger Neckarstrand unterhalb des Hölderlin-Weges spazierengefahren; eine Art Ehrerbietung gegenüber dem intellektuell bestechenden Schöpfer unter anderem der Blauen Blume der Romantik. Zwar habe sie als Einjährige, das aber nur nebenbei, damals beschlossen, Vegetarerin zu werden. Aber sein Gesicht habe festgemacht in ihr, weshalb sie ihn in dem Veranstaltungsprospekt auch sofort wiedererkannt habe. Er habe sich nur wenig verändert. Er sei noch immer der melancholisch-fröhliche junge Mann von damals, der neckarnaß neben der alten Brücke dem Fluß entstiegen war. Zwar sei er mittlerweile offensichtlich ein wenig müde geworden von seinem bisherigen Leben des andauerenden Schwimmens. Doch nun gebe es ein neues. Nun dürfe er sich ausruhen. Bei ihr. Mit ihr, im wässrigen Element. In dem sterbe die Jugend nie.
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drrabulski,
Freitag, 13. Dezember 2013, 22:41
Jungborn
füge ich hier als Kommentar ans, als Ende des letzten Absatzes an, da Blogger.de wie so häufig leider keine Änderungen annimmt.
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Letzte Aktualisierung: 2014.02.12, 19:21 status
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Erleuchtende Erscheinung
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